Adrian Wettach: Melancholisch, knallhart und ein grosser Poet: Clown Grock in einer Rezension der NZZ
Melancholisch, knallhart und ein grosser Poet: Clown Grock in einer neuen Bildbiografie
Grock ist ein Mythos: der grösste der Clowns und erst noch ein Schweizer. «Nit möööglich»? Doch. Adrian Wettach lebte von 1880 bis 1959. Was ist das: der grösste der Clowns? Der Autor und Dokumentarfilmer Oliver Matthias Meyer hat keine Antworten parat. Dafür offeriert er in seiner üppigen Bildbiografie (wie schon 1999 ein französischsprachiges Werk von Laurent Diercksen) Einblicke in ein Artistenleben, das aus dem Uhrenarbeiter- und Gastwirtmilieu im Berner Jura herausführte, sich in der europäischen Provinz zum Erfolg strampelte, an der italienischen Riviera ein luxuriöses Idyll genoss und im Variété der Metropolen Triumphe feierte (Abstürze eingeschlossen), bejubelt von den Zelebritäten seiner Zeit. Dass sich darunter Goebbels und Hitler befanden, entfesselte bei Kriegsende in der Schweiz eine Polemik. Ob Grock mit den Nazis sympathisierte, «kann nicht endgültig belegt werden», resümiert Meyer, für die Zeit vor dem Krieg sei davon auszugehen, lässt er Fredy Knie sen. sagen.
Kein zimperlicher Mensch wird da sichtbar, sondern einer, der partout der Grösste sein wollte, seine Partner wechselte, wenn sie nicht mehr opportun waren: sogenannt unpolitisch, aber künstlerisch besessen und knallhart im Geschäft. In drei Autobiografien stilisierte sich Wettach zum Teil effektvoll selber. Meyer zitiert reich aus ihnen und aus Interviews, quasi als Originalton-Spur. Er pflegt aber einen wenig diskursiven Umgang mit dem Material, übernimmt in seiner (da und dort suboptimal lektorierten) Lebenserzählung oft Wettachs Tonalität und verzichtet im Einzelnen auf Quellenangaben. Wichtiges ist in den Anhang verbannt, eine Bibliographie vermisst man.
Adrian Wettach hatte ein hartes Gesicht. Genial, wie er seine langen Wangenfalten zum treuherzig strahlenden Lachmund umschminkte. An Grock in seinem karierten Schlabberkostüm kann man sich nicht sattsehen: Der berühmte 45-minütige Auftritt von 1931 auf der DVD ist eine magistrale Demonstration von Einfällen, physischer Behendigkeit, von Musikalität auf Handharmonika, Klavier, Mini-Geige, mit traumwandlerischem Gespür für Timing und Pointe. Unendlich komisch und voll melancholischer Poesie. Grock, das war gleichzeitig ein träges somnambules Schweben und ein präziser, schneller Tusch - der Sog dieser Mischung ist auch heute noch unwiderstehlich. Martin Walder
Oliver M. Meyer: Grock - Seltsamer als die Wahrheit. Artsedition, Zürich 2006. 266 S. mit zahllosen Abb., 1 DVD, Fr. 92.-.
[ Weiterlesen hier: 17. Dezember 2006, NZZ am Sonntag ]
Grock ist ein Mythos: der grösste der Clowns und erst noch ein Schweizer. «Nit möööglich»? Doch. Adrian Wettach lebte von 1880 bis 1959. Was ist das: der grösste der Clowns? Der Autor und Dokumentarfilmer Oliver Matthias Meyer hat keine Antworten parat. Dafür offeriert er in seiner üppigen Bildbiografie (wie schon 1999 ein französischsprachiges Werk von Laurent Diercksen) Einblicke in ein Artistenleben, das aus dem Uhrenarbeiter- und Gastwirtmilieu im Berner Jura herausführte, sich in der europäischen Provinz zum Erfolg strampelte, an der italienischen Riviera ein luxuriöses Idyll genoss und im Variété der Metropolen Triumphe feierte (Abstürze eingeschlossen), bejubelt von den Zelebritäten seiner Zeit. Dass sich darunter Goebbels und Hitler befanden, entfesselte bei Kriegsende in der Schweiz eine Polemik. Ob Grock mit den Nazis sympathisierte, «kann nicht endgültig belegt werden», resümiert Meyer, für die Zeit vor dem Krieg sei davon auszugehen, lässt er Fredy Knie sen. sagen.
Kein zimperlicher Mensch wird da sichtbar, sondern einer, der partout der Grösste sein wollte, seine Partner wechselte, wenn sie nicht mehr opportun waren: sogenannt unpolitisch, aber künstlerisch besessen und knallhart im Geschäft. In drei Autobiografien stilisierte sich Wettach zum Teil effektvoll selber. Meyer zitiert reich aus ihnen und aus Interviews, quasi als Originalton-Spur. Er pflegt aber einen wenig diskursiven Umgang mit dem Material, übernimmt in seiner (da und dort suboptimal lektorierten) Lebenserzählung oft Wettachs Tonalität und verzichtet im Einzelnen auf Quellenangaben. Wichtiges ist in den Anhang verbannt, eine Bibliographie vermisst man.
Adrian Wettach hatte ein hartes Gesicht. Genial, wie er seine langen Wangenfalten zum treuherzig strahlenden Lachmund umschminkte. An Grock in seinem karierten Schlabberkostüm kann man sich nicht sattsehen: Der berühmte 45-minütige Auftritt von 1931 auf der DVD ist eine magistrale Demonstration von Einfällen, physischer Behendigkeit, von Musikalität auf Handharmonika, Klavier, Mini-Geige, mit traumwandlerischem Gespür für Timing und Pointe. Unendlich komisch und voll melancholischer Poesie. Grock, das war gleichzeitig ein träges somnambules Schweben und ein präziser, schneller Tusch - der Sog dieser Mischung ist auch heute noch unwiderstehlich. Martin Walder
Oliver M. Meyer: Grock - Seltsamer als die Wahrheit. Artsedition, Zürich 2006. 266 S. mit zahllosen Abb., 1 DVD, Fr. 92.-.
[ Weiterlesen hier: 17. Dezember 2006, NZZ am Sonntag ]
Labels: adrian wettach, grock
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